Am 27. Januar 2023 wurde Hans Modrow 95 Jahre alt. Er ist einer der letzten seiner Art. Er war nach der Mauerfall in Berlin am 1989 für kurze Zeit der mächtigste Mann der DDR. Auch nach der Wiedervereinigung machte der frühere DDR-Regierungschef weiter Karriere. Ich lernte ihn im November 1990 kennen. Ich erlebte und erlebe ihn vor allem als Mensch. Bis heute.
Ich lernte Hans Modrow bei einem Interview für das Aargauer Volksblatt kennen. Die Mauer war da gerade acht Monate gefallen. Die DDR war mit dem 3. Oktober 1990 Geschichte. Als ich zum Interview im Parteihaus der SED erschien, prangten da noch Hammer und Ährenkranz am Gebäude. Als ich auf Modrow wartete, konnte ich es kaum glauben: Ich war 21, besetzte im Prenzlauer Berg leerstende Häuser und ging mit grossen Augen durch Ost-Berlin. Und nun traf ich auf den ehemaligen DDR-Staatschef. Hans Modrow hatte bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 seine Macht verloren. Er wurde hinweggefegt von der Geschichte. Irgendwie zerfetzt, so wie das Wahlplakat von ihm (siehe oben), das ihn mit Gregor Gysi zeigt.
Aber Hans Modrow, ein charismatischer und redegewandter Mann, dachte nicht daran, das politische Parkett zu verlassen. Er kandidierte für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte ihn, ob ich ihn für eine Reportage durch seinen Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern begleiten durfte. Wer war ich? Ich hatte von der DDR wenig Ahnung. Aber ich wollte um nichts auf der Welt jetzt genau hier sein: In der Post-DDR. In Ost-Berlin. In dieser historischen Transformation. Und dieser Hans Modrow nahm mich tatsächlich mit auf Wahltour. Nur er, sein Fahrer und ich. Mehrere Tage im Zeitraum von drei Wochen. Er erzählte mir von seinem Leben: Am 27. Januar 1928 im damals preussischen und heute zu Polen gehörenden Jasenitz geboren. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Hitlers sogenannten Volkssturm eingezogen. In sowjetischer Gefangenschaft geraten. In der DDR gehörte er zum Machtapparat um Erich Honecker. In den 80er-Jahren galt er als «Gorbatschow der DDR». Wir freundeten uns an.
Es würde diesen Rahmen sprengen, aufzuzählen, was ich mit Hans Modrow, diesen Zeitzeugen des Jahrhunderts, alles erlebt habe. Er hat mein Leben stark geprägt. Meinen Horizont gesprengt. Nach der Begegnung mit ihm gab es ein Vorher und ein Danach.
Hier einige Bilder aus meinem Fotoarchiv. Hans Modrow hat eine interessante Gesichtslandschaft.
Anfang der 90er Jahre begann ich, intensiv zu fotografieren. Nicht immer waren alle Bilder scharf, und manchmal geriet das Negativ beim Entwickeln zu braunstichig. Aber ich habe diese Erinnerungen auf Film gebannt.