
Wolken stehen im Mittelpunkt der Ausstellung „Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud“ im Frühjahr/Sommer 2023 im Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur in Bad Homburg (D). Vierzehn Künstler:innen geben verschiedene Sichtweisen auf den Himmel frei: Wolken als Sinnbild für Weite, Freiheit, Leichtigkeit sowie Klima, Kosmos und Spiritualität. Mit Werken von: Gerhard Richter und Isabelle Arthuis, Julius Bockelt, Jonas Fischer, Ian Fisher, Noa Jansma, Barbara Klemm, Gerhard Lang, Marie-Jo Lafontaine, Lyoudmila Milanova, Arnulf Rainer, Adrian Sauer, Angela Schwank und Berndnaut Smilde.
Anlässlich dieser Ausstellung eine persönliche Betrachtung zu Wolken:
Neulich rannte ich gegen Abend wie anestochen aus dem Haus in den Garten. Alles war in ein intensives Rot getaucht. Über mir hing eine riesige rote Wolke. Sie erschien wie aus dem Nichts. Erst dachte ich, es brenne. Eine Wolke, die aussah wie eine feurige Liebesgöttin. Sie blieb eine gefühlte Ewigkeit an derselben Stelle am Himmel kleben, bis sie ihre weitere Reise antrat. Ein erhabener Moment, in dem sich ein tiefes Glücksgefühl einstellte.
Es gibt Menschen, denen die Farbe und die Form einer Wolke egal sind. Dann gibt es jedoch Leute, die gelangweilt gen Himmel schauen, wenn sich dort keine einzige Wolke zeigt. Die erst zur Kamera oder zum Fernglas greifen, wenn sich in der Atmosphäre richtig etwas zusammenbraut. Ihnen gefällt, was im Gründungsmanifest der «Cloud Appreciation Society», der «Gesellschaft zur Wertschätzung der Wolke» steht: «Wir glauben, dass Wolken zu Unrecht schlecht gemacht werden und dass das Leben ohne sie unendlich ärmer wäre.»
Diesem Satz kann ich ganz zustimmen und bin deshalb dem Wolken-Club beigetreten. Gegründet wurde die Gesellschaft 2004 bei einem Literaturfest in Cornwall von Gavin Pretor-Pinney. Auf der Webseite der Vereinigung tummeln sich Hobby-Meteorologen, Sinnsucher und bildende Künstler, die schon von Berufes wegen das Licht studieren.

Das unterschätzte Geschöpf
«Wolken sind unterschätzte Geschöpfe.» Mit diesem Satz löste Gavin Pretor-Pinney vor zehn Jahren eine Diskussion über Wolken aus, als sein Buch «Wolkengucken» die Bestsellerliste erklomm. Recht hat er: Dunkle Wolken werden oft nur als Stimmungstöter und Metaphern für schwere Zeiten verunglimpft. In Kinofilmen kommen Wolken meist schlecht weg, mit Ausnahme von Wim Wenders Film «Der Himmel über Berlin».
Der Himmel hat blau und wolkenlos zu sein, das zeigt auch die Tourismus-Werbung. Doch wie langweilig wäre das auf Dauer in der Realität! Wie viel spannender ist es, wenn sich über uns mächtig etwas tut in der Atmosphäre. Wie sehr bereichert es den Alltag, wenn wir Wolken als Wesen mit einer Seele sehen! Als Freunde, die besucht werden wollen. Schon früh stellte ich mir Fragen wie: Wohnt jemand in ihnen? Wo haben Wolken ihre Reise begonnen? Und: Kommunizieren sie untereinander?

Symbol für Transzendenz
In der Kunst gingen Wolken und Religion früh eine enge Symbiose ein. Die Naturerscheinung diente vielen Künstlern als Symbol für Religiosität und Transzendenz. Ihre Darstellungen sagen viel aus über das jeweilige Gottesbild der Zeit: Bis zum Mittelalter etwa malten Künstler Gott allein als Hand, die durch eine Wolke stach oder als Auge hinter einer Wolke. Auch in Kirchen sind Wolken omnipräsent. Wer beispielsweise Roms Kirchen besucht, staunt, wie viele Bilder Wolken zeigen, auf denen Apostel, Engel und Christus ruhen. Bekannte Beispiele sind die grossformatigen Gemälde in der Basilika der heiligen Cosmas und Damian und die üppigen Deckenmalereien Michelangelos in der Sixtinische Kapelle.
Heilige, vor allem Märtyrer, werden ebenfalls oft auf Wolken getragen. Künstler von Weltruhm wie Emil Nolde, Claude Monet und Gerhard Richter schufen mit ihren Wolken-Darstellungen unsterbliche «Seelenbilder».

Jede Wolke ein Unikat
Es gibt so viele Arten von Wolken: Die Cumulonimbus etwa, die heftige Stürme bringt und wie ein Amboss aussieht; die fransigen Streifen der Cirrus, die einen Wetterumschwung ankünden; die bauschige Cumulus als Schönwetterbotin und die ungeliebte Stratuswolke, bei der der Himmel schwer wie ein Betondeckel über der Erde zu lasten scheint. Jede Wolke ist ein Unikat. Man denke nur an die Färbung von Wolken, die in kurzer Zeit von Tiefschwarz bis zu Dunkelrot changieren kann.
Eine Reise ins eigene Innere
Wolken nehmen einen zudem mit auf eine innere Reise, auch wenn Kritiker die Wolkenbetrachtung für reine Zeitverschwendung und ein Privileg der Müssiggänger halten. Neben meteorologischen Zusammenhängen ist es jedenfalls das Metaphysische, was viele an Wolken fasziniert. Sie entschleunigen das Leben auf wunderbare Art und Weise.
Kein Zufall, arbeiten Meister der Zen-Meditation mit Wolken-Bildern, anhand deren man das Kommen und Loslassen lästiger Gedanken einüben soll. Auch für die Autorin dieses Textes gilt: Das bewusste Betrachten von Wolken entspannt Körper und Geist. Betrachtet man den Himmel, wie er sich verändert, dann schaut man unweigerlich auch in sich selbst hinein.