Eine Ausstellung im Muzeum Susch, kuratiert von Madeleine Schuppli und Yasmin Afschar. In Zusammenarbeit mit der Stiftung «The Estate of Hannah Villiger».
Vom 4. Januar bis 2. Juli 2023.

Hannah Villiger hatte ein kurzes Leben. Sie starb 1997 starb mit 45 Jahren an Herzversagen. Noch bis kurz vor ihrem Tod erstellte sie Polaroids, jene Form der Fotografie, die ihr so am Herzen lagen. Und die heute ganz neu wieder viele (junge) Anhänger:innen findet.
«Hannah Villiger: Amaze Me» lautet der Titel der Ausstellung im Unterengadiner Muzeum Susch. Er ist angelehnt an einen Tagebucheintrag der Künstlerin: «étonne moi» – überrasche, überwältige mich.
Die Macher haben die grösste Werkschau Hannah Villigers seit über einem Jahrzehnt zusammengestellt. Sie hätte sich über die Ehrung ihres Werkes an diesem Ort jetzt wohl sehr gefreut.

Bild: zvg Muzeum Susch
Zu Lebzeiten war Hannah Villiger sehr umtriebig: Ihre Werke wurden an zahlreichen Ausstellungen in der Schweiz und ganz Europa gezeigt. 1994 sogar im Schweizer Pavillon der Biennale Sao Paolo.
Das Interesse an ihren Fotos ist gross. Das hat einen Grund: Hannah Villiger gilt als eine Vorreitern der Selfie-Fotografie. In den 80er- und 90er-Jahren fotografierte sie immer wieder ihren Körper. Mit der Polaroidkamera fotografierte sie dabei mal ganz dicht am meist nackten Körper entlang tastend, mal am ausgestreckten Arm oder Fuss entlang. Auf diese Weise entstanden fragmentarische Bildausschnitte von einzelnen, ineinander verschränkten Körperteilen. Die Polaroids sind überbelichtet, unscharf oder im extremen Hell. Charakteristisch sind auch die starken Farbkontrasten und die orange-gelblichen Farben. Ihre visuelle Ästhetik erinnert an Videos von Pipilotti Rist.

Bild: zvg Foundation The Estate of Hannah Villiger
Hannah Villiger bezeichnete ihren Körper als «skulpturales Objekt». Die ausgewählten Polaroids drehte und kombinierte sie nach Belieben, bis die abgebildeten Körperfragmenten zu etwas neuem Ganzen wurde. Die Wirkung einiger Bilder gehen bis an die Schmerzgrenzen. Sie erinnern dabei stark an gewisse Bilder der Fotografin Cindy Sherman. Solche «Selfies» haben mit jenen von heute, wo es oft um die oberflächliche Selbstinszenierung geht, wenig zu tun. Sie sind buchstäblich filterlos. Durchlässig.

Traditionelle weibliche Schönheitsideale hat Hannah Villiger wenig inszeniert. Bei ihren Körper-Porträts ging es ihr um Echtheit und Intimität. Inmitten des Bild-Tsunamis, den wir heute durch Tools wie Instagram erzeugen, erscheint dieses Werk wie aus der Zeit gefallen. Es mahnt, genauer hinzusehen, statt wahllos zu knipsen. Es ist eine Ode an das Innehalten.

Mit der Ausstellung im Muzeum Susch handelt es sich um eine einmalige Möglichkeit, das Werk dieser aussergewöhnlichen Künstlerin neu zu entdecken.
Hannah Villiger hat Zeit ihres Lebens intensiv Tagebuchnotizen in Hefte, Bücher und Agenden eingetragen. Hier ein Auszug eines Eintrages, der gut zu dieser Ausstellung passt:
«Es ist Mittag. Die Nachmittage gehören meiner Arbeit. Die Vorhänge sind geschlossen, durch den Stoff dringt ein gelbliches Licht. Am Boden ist ein weisses Tuch ausgebreitet. Meine Arena. Die Utensilien liegen teilweise bereit.
Die Polaroidkamera steht provozierend auf meinem Tisch, neben meinem Skizzenbuch. Ich ziehe über meinen nackten Körper, den Arbeitsmantel. Alles liegt bereit und wartet darauf, in Bewegung gebracht zu werden. Die verschiedenen Spiegelteile, die Stoffe, das Messer, Neocolor, Acrylfarbe, Polaroidfilme; ich friere meistens am Anfang. Ich steige in mich hinein.»
Hannah Villiger, Arbeitsbuch, 29.5.1989
