Hans Modrow: Bilder für die letzte Reise

Am 10. Februar 2023 ist Hans Modrow gestorben. Letzter DDR-Ministerpräsident, Zeuge des Jahrhunderts, facettenreicher Mensch. Die Autorin dieses Textes lernte ihn in den bewegten Tagen kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands im Herbst 1990 kennen.

Hans Modrow
Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

Am 15. März nun gedachten Familie, Freunde und Weggefährten des Politikers mit einer Trauerfeier. Abgehalten wurde sie im Haus des «Neuen Deutschlands» in Berlin, wo ich vor drei Jahrzehnten ein Praktikum auf der Redaktion absolvierte. Der Geruch aus dem Schwarzweiss-Labor, den habe ich heute noch in der Nase. Unvergessen auch das hochwertige Fotopapier aus dem Hause ORWO, auf dem ich damals körnige Schwarzweissfotos abgezogen habe.

Hans Modrow
Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

Mehrere Hundert Menschen kamen am Mittwochnachmittag zur Gedenkfeier. Darunter waren u.a. Egon Krenz, der letzte Generalsekretär der SED, der ehemalige Bundeskanzler und SPD-Politiker Gerhard Schröder, die Botschafter Japans und Nordkoreas.

Hans Modrow
Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

Sie alle lauschten den prominenten Rednern, die in verschiedenen Varianten Modrows grösste Lebensleistung würdigen: Die DDR-Bürger mit Anstand und Würde ins vereinte Deutschland zu führen.

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Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

An den Wänden des Entrees zum Saal waren 14 Fotografien angebracht, die Hans Modrow zeigten. Entstanden sind sie, als ich den Ex-Staatschef der DDR im November 1990 durch seinen Wahlkreis nach Neubrandenburg und andere Orte in Mecklenburg-Vorpommern begleiten konnte. Sie zeigen ihn lachend beim Besuch eines Kinderheimes, Kindern umarmend; nachdenklich beim Besuch eines Landwirtschaftsbetriebes; zusammengesunken an einem Tisch; beim Suppe essen in einer Kneipe, zusammen mit Arbeitern; bei einer feurigen Rede bei einer Parteiveranstaltung; dei einem Spaziergang über schlammige Strassen. Manche Bilder wirken, als seien sie aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Jedenfalls wie aus der Zeit gefallen.

Hans Modrow
Vera Rüttimann
Vera Rüttimann vor den Bildern an von Hans Modrow.

Ich traute mich damals kaum zu fotografieren. Ich war 22 und hatte einen Politiker, der die Geschicke des Weltgeschehens (wenigstens für ein paar Monate) mitgehalten konnte, vor der Linse. Diese Trauerfeier erinnerte mich auch an den Umstand, wie faszinierend es war, diesen Mann zu dieser Zeit zu fotografieren. Es gab keinen Personenschutz, der Fotografen wie lästige Schmeissfliegen behandelte. Es gab auch keine langwierige Prozeduren, um bei ihm einen Termin zu erhalten. Es brauchte keinen Zweitwagen, ich konnte mit ihm mitfahren.

Hans Modrow mochte es allerdings nicht, sich fotografieren zu lassen. Man musste sich schon ziemlich dezent verhalten. Ich machte mich jedenfalls in vielen Situationen zur «Maus». Nur so gelangen mir gewisse Aufnahmen.

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Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

Hans Modrow hatte ein faszinierendes Gesicht. Seine steil hoch gezogenen Augenbrauen verrieten Hochmut, Wut und Irritation. Er war authentisch, unverstellt und spontan. Ich las in seinem Gesicht oft wie in einem Buch.

Jeder Fotograf:in ist zu einem gewissen Mass eitel und will seine Bilder zeigen. Das Schönste für mich bei Fotoausstellungen sind aber immer die Gespräche, die durch die Bilder angeregt werden. Ausgetauschte Erinnerung, davon gab es reichlich an diesem Tag. Und immer kamen Fragen auf wie: Wo sind sie, die Politiker, die noch «echte Typen» sind? Typen, die scharfkantig, umbequem, und doch menschlich und nahbar sind. Einer, wie es Hans Modrow war.

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Trauerfeier für Hans Modrow. Bild: © Vera Rüttimann

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