Ein Beitrag von Vera Rüttimann:
Im Mittelpunkt bei der diesjährigen Ausgabe stand die weltberühmte Fotoagentur Magnum. Zum 75. Jubiläum der in New York gegründeten Agentur wurden in verschiedenen Ausstellungen hochkarätige Werke von Magnum-Fotografen gezeigt. Pixelnews besuchte Orte wie die „Chaussee 36“, die Galerie Buchkunst Berlin und die Helmut Newton Foundation.
Sie kommen spontan aus dem Falavel-Restaurant nebenan. Andere kommen als Fotoliebhager ganz gezielt hierher. Der grosse Raum der Galerie Buchkunst Berlin ist ein veritabler Blickfang. Er zieht mich magisch an. Hier präsentiert die Galerie die Ausstellung „MY WAY“ mit Bildern von von Thomas Hoepker. Der Name zieht die Leute an: 1989 wurde er Vollmitglied der Agentur Magnum Photos und war von 2003 bis 2007 ihr Präsident. Oriana Striebeck, Mitarbeiterin der Galerie, sagt: „Die Gäste haben sich alle sehr gefreut, dass er anwesend war, auch wenn er von Krankheit gezeichnet ist. Es war eines der Highlights während der Berlin Photo Week.“
Zu sehen ist eine Auswahl von Aufnahmen von Thomas Hoepkers erstem legendären Roadtrips durch die USA. 1963 fuhr er kreuz und quer durch das Land. Zu sehen Menschen in ihrem Alltag. In Hinterhöfen, in Kinos oder auf Autoparkplätzen. Man spürt Rassendiskriminierung und Armut, aber auch Aufbruchstimmung. Alles ist ausgeleuchtet mit einem riesigen Kronleuchter.
Diese Ausstellung findet im Rahmen des 75-jährige Jubiläum der legendären Fotografen-Agentur Magnum Photos statt. Eine Sammlung ikonischer Magnum-Fotos werden auch in den Reinbeckhallen (3. September bis 20. November 2022) gezeigt.
„Misfits“
Seltsam abwesend schaut Marilyn Monroe in die Kamera. Es zeigt Marilyn unbeobachtet. Es drückt pure Einsamkeit aus. Die Aufnahme stammt von Inge Morath. Entstanden ist sie bei den Dreharbeiten zur Verfilmung von Arthur Millers berühmtes Stück „The Misfits“, das 1960 von Regisseur John Huston verfilmt wurde.
Inge Morath Bild ist in der der Ausstellung „The Misfits“ in der Helmut Newton Foundation (3. September – 20. November 2022) zu sehen. Und viele mehr. Die Agentur Magnum hatte damals neun Fotografen gebeten, die Dreharbeiten zu John Hustons Film zu dokumentieren. Darunter war die damalige Crème de là Crème der Fotoszene. Leute wie Eve Arnold, Henri Cartier-Bresson und Ernst Haas. Und natürlich Inge Morath.
Ich bin nicht allein in dieser Ausstellung. Sie ist ein Publikumsmagnet an der Berlin Photo Week. Kein Wunder: Marilyn Monroe, Clark Gable und Montgomery Clift werden „behind the scene“ gezeigt. Es sind selten gesehene Aufnahmen von Hollywood-Schauspielern in seelischen Ausnahmesituationen. Wer darum weiss, dem erschliesst sich die Wucht der Bilder umso mehr. Clark Gable sitzt gedankenversunken in einem Jeep am Set. Auch Montgomery Clift strahlt nicht. Ihn plagen seine Alkoholsucht und seine noch nicht geoutete Homosexualität. Arthur Miller sieht man auf einem Bild schreibend auf einem Bett. Miller war zu diesem Zeitpunkt mit Marilyn Monroe verheiratet. Ihre notorische Unpünktlichkeit, ihre Selbstzweifel und ihr Tablettenkonsum führte zur Entfremdung. DieEhe zerbrach während der Dreharbeiten. Eines der eindringlichsten Bilder zeigt Arthur Miller rauchend in der Tür stehen. Marilyn Monroe blickt gedankenverloren aus dem Fenster. «The Misfits» war ihr letzter Film. Clark Gable starb kurz nach dem letzten Drehtag.
„Like a Bird
Der grosse Galerieraum des Fotokunstortes „Chaussee 36“ in Mitte ist bekannt für Ausstellungen mit Fotos, die einen gesellschaftspolitischen Bezug haben. Ich steht vor einem Selbstporträt von Inge Morath. Die Österreicherin war einer der ersten Frauen in der Agentur Magnum. Das Bild zeigt sie in typischer Pose: In bewusst unauffälliger Haltung in der Nähe eines Marktes in Iran, mit der einen Hand an der Leica, der anderen an der Tasche mit den Wechselobjektiven. Immer in Bewegung, immer bereit, das entscheidende Bild zu machen.
Dieses Bild ist Teil der Ausstellung „Dancing through Times of Uncertainty.“ CHAUSSEE 36 zeigt zwei Ausstellungen, die miteinander im Dialog stehen. Inge Moraths (1923-2002) Bilder verbinden sich mit denen von Johanna-Maria Fritz. Die beiden Fotografen zeigen, Menschen aus der Zirkuswelt. Und zwar in Ländern, in denen man sie nicht erwarten würde: Im Iran, Afghanistan oder Palästina. Auf den Bildern sieht man Jongleure zwischen Jeeps, eine Seiltänzerin über armen Behausungen oder Kleinwüchsige auf einem staubigen Platz. Die Bilder zeigen das Helle im Dunkeln. Nicht umsonst heisst das Langzeit-Projekt von Johanna-Maria Fritz „Like a Bird“. Fliegen über Mauern hinweg.
„Dead End Street“
Ebenfalls in Mitte, in der Linienstrasse, befindet sich die HVW8-Galerie. Dort vermischt sich gerade der Galerie-Hund, das Publikum und die Bilder zu einer eigenen Kunst-Performance. Es gibt eine kleine Urinpfütze vor dem grossen Bild, auf dem verloren dreinblickende Frauen zu sehen sind. Sie sind auf einer Rüstungsmesse des Militärs in Moskau. Fotografiert hat es der in Berlin lebende Fotograf Nikita Teryoshin. Er sagt: „Es herrschte in Russland schon länger eine Stimmung nach dem Motto: Wir können Krieg, wenn wir wollen.“
Der gebürtige Russe thematisiert in seinen Bildern den Alltag seiner Landsleute in Russland. Die meisten der Bilder stammen aus der Serie „I’ve never been to Russia“, die der World Press Photo Award-Träger 2019 begann. Sie sind absurd, witzig oder provokant. In jedem Fall extrem scharf ausgeleuchtet. Symptomatisch ist das Bild seines brennenden Passes. „Aufgenommen am Tag des Kriegsbeginnes in der Ukraine“, sagt er. Eindrücklich auch das Porträt von Marja, Sängerin der Punkband von „Pussy Riot“.
In einem Nebenraum zeigt der Fotograf Manuel Osterholt unter dem Tiotel ”Chasing My Shadow. Through Time & Space. 2012-2019” Streetfotografie.
Leuchtende Bilder
Und noch einmal Magnum in der Robert Morat Galerie in der Linienstr. 107 in Mitte. Auf Christopher Anderson freue ich mich besonders. Schon lange ist der Amerikaner auf meiner Best-Off-Fotografen-Liste vermerkt. Seine lichtdurchfluteten Porträts von Familienmitgliedern in markanten Orange- und Gelbtönen habe ich innerlich gespeichert. Wunderbar, sie in der Robert-Morat-Galerie erstmals in Echt zu sehen. Ausgestellt ist ein Teil seiner Serie zu „Son“ und zu „Pia“. Christopher Andersons Bilder glimmen förmlich von innen.
Absacker im “ici”
Nach so viel Trubel ist es Zeit für einen Absacker im Café „ici“ in der Auguststrasse in Mitte. Während es im gegenüberliegenden Kunstmagazin-Shop „do you read me?!“ wie in einem Taubenschlag zugeht, scheint hier drin die Zeit stillzustehen. Die Wände und der Stuck an der Decke haben seit den 90er-Jahren durch Zigarettenrauch und andere Gerüche reichlich Patina angesetzt.
Auch dieser Ort, der sich an der legendären Kunstmeile in Mitte befindet, beteiligt sich an der Berlin Photo Week. Gezeigt werden Bilder von Manfred Weber. Sie tragen kuriose Titel wie »Dont we look cool, Honey” und “Une cagole berlinoise”. Sie zeigen Stammgäste wie Sven Marquardt, legendärer Türsteher vom „Berghain“ und ebenfalls Fotograf (siehe Dokumentation «Schönheit und Vergänglichkeit»). Im „ici“ und anderswo lassen die Menschen jetzt ihre Eindrücke von der Berlin Photo Week jetzt sacken. Die Ausgabe 2022 bot reichlich Stoff.
Über die BERLIN PHOTO WEEK: Die BERLIN PHOTO WEEK findet seit 2018 in Berlin statt. Das Fotofestival hat bei seinem Neustart in der „Arena Berlin“ vom 2. bis 4. September über 20.000 Besucher angezogen. Dort gab es Workshops, Fun-Places und Podien rund um das Thema Fotografie. Namhafte Fotografen luden zum Booksigning. In Berlin fanden bis zum 9. September diverse Fotoausstellungen statt. Einige sind über dieses Datum hinaus zu sehen. Weitere Infos: https://berlinphotoweek.com/de/