H. R. Gigers ist wieder im Fokus der Öffentlichkeit. In dieser Woche wurde in der Photobastei n Zürich eine Ausstellung mit seinen Werken ausgestellt. «Schattenreise» heisst sie – und das Kulturvolk strömte. Denn: Seine foto-surrealistischen Bilder sind zu Ikonen der Science-Fiction-Filme geworden. Der Schweizer Künstler, der schon 1978 mit seiner Arbeit für Ridley Scotts «Alien» Massstäbe setzte, ist längst Kult und wird von vielen gerade wieder entdeckt.
Die Autorin dieses Textes erinnert sich gut an den letzten Besuch im Jahr 2008. Anlass war eine Reportage für ein deutsches Magazin. Das Reihenhaus in Zürcher Stadtteil Oerlikon konnte man glatt übersehen. Die Fassade war grün überwachsen, wild wucherten Sträucher und Bäume. Startende Jets vom unweit gelegenen Flughafen Kloten dröhnten über das Haus. Und doch wohnte hier seit 1971 H. R. Giger. Ein Kunststar. Jener Mann, der mit «Alien» das wohl furchterregendste Monster in der Filmgeschichte kreierte und 1980 für die Spezialeffekte eines Düsterwerkes der Sonderklasse einen Oscar erhielt und Weltruhm erlangte.

Die Tür ging auf. Im Rahmen stand ein Mann, ganz in schwarz gekleidet. Unter seinem zerzausten, weissen Haarschopf blickten dunkel funkelnde Augen hervor. Seine Stimme war überraschend sanft.
Beim Vater des «Alien»
Anlass für das Interview war der Hollywood-Blockbuster «Prometheus». Der Churer Künstler hatte für Ridley Scotts neuen Film ein Raumschiff gestaltet. Das Medieninteresse war Zeit seines Lebens gross. Das besagte ihm eigentlich gar nicht. Er selbst sagte mir: «Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen.»

Ich war sehr neugierig darauf zu sehen, wie der Erzeuger von «Alien» lebt. Seinen scheuen Gast bat Giger – er lief am liebsten barfuss herum – in sein Arbeitszimmer. Ich tauchte ein in eine surreale Welt Vier chromblitzende, hohe Stühle wuchsen aus Knochenbecken heraus und endeten oben mit Schädeln.

Weiter führte mich H. R. Giger hinaus in seinen verwilderten Skulpturengarten, in dem «Alien»-Figuren und alte Eisentüren aus Ridley Scotts Filmklassiker Moos ansetzten. Gigers Reich war im Haus und im Garten von verschiedensten Alien-Skulpturen bevölkert. Ein eigenes Universum. Ein Ort, wie ich noch keinen zuvor gesehen hatte. Im Garten machte ich Fotos mit der HOLGA-Kamera. Er nahm sie lächelnd zur Kenntnis. Wer Monster wie das Alien erschaffen hatte, liess sich auch durch die «Hässlichkeit» einer solchen Kamera nicht schrecken.

Am selben Tisch, an dem er mich empfing, sass er 1977 mit dem britischen Regisseur, als es mit «Alien» losging. «Für viele ist diese Kreatur wegen ihres perfiden Perfektionismus eine Art dunkle Göttin», sagte sein Erschaffer. Dieses Geschöpf hat Generationen von Kreativen beeinflusst und fasziniert.


Kleinkinder als Patronen

Wahre Giger-Jünger pilgern heute ins Chateau St. Germain in Gruyères, wo das Lebenswerk des Designers, Malers und Plastiker präsentiert wird. Die Eisenplastik «Gebärmaschine» am Eingang, die eine aufgeschnittene Pistole zeigt, die mit Kleinkindern als Patronen geladen ist, sorgt schon mal für den ersten Schockeffekt. Die Bewahrer von H. R. Gigers Hinterlassenschaften haben sich mit dem idyllischen Gruyères einen wundersamen Platz für seine Kreaturen ausgesucht, die sonst auf einem finsteren Planeten im bläulichen Licht hausen und todbringende Eier ausbrüten. Der Künstler bezeichnete diesen Ort jedoch als «Kraftort».

H.R. Gigers Anhängerschaft – darunter Film-, Kunst- und Gothic-Fans und auch einige Satanisten – suchten im Chateau St. Germain stets nach ihm, wo er aber nur selten anzutreffen war. War er aber da, mischte er sich unter seine staunende Besucher und betrat den Raum, in dem seine «Pilger» minutenlang noch heute wie hypnotisiert in einen Glaskasten starren, in dem ein durchsichtig schimmernder, rostbrauner Riesenkopf eines Aliens ausgestellt ist. Ein phallisches Haupt, dessen Gebiss ein weiteres verbirgt, das wie ein Schlagbolzen hervorschnellen kann.


Frühe Bekanntschaft mit dem Tod
Interessiert stehen Besucher auch vor den grossformatigen Bildern der «Passagen»-Serie des Meisters des fantastischen Surrealismus. Die Darstellungen lösen bei ihnen klaustrophobische Ängste aus. Auf vielen der Bilder finden sich in unterschiedlichsten Variationen von seltsamen Körperöffnungen, aus denen Flüssiges dringt.
Wie tickt der Mann, der sich solche Bilder von der Seele malen muss? H.R. Giger erzählte oft von seiner Kindheit im graubündnerischen Chur, in der er von Albträumen geplagt war, in denen er aus Erdlöchern nicht mehr herausfand. In der Kindheit hatte er ein reales, vergleichbares Erlebnis. Das war in Ägypten, als er in die Cheops-Pyramide hinabstieg und in den extrem niedrigen Gänge von Platzangst erfasst wurde.

Auch unter einer sexuell verklemmten Gesellschaft habe er, so sagte er mir, gelitten. Giger machte zudem früh Bekanntschaft mit dem Tod. Die Selbsttötung seiner Frau Li Tobler 1975 beschäftigte ihn sehr. «Die Kunst war für mich danach auch ein Stück Therapie», sagte Giger. Li Toblers sphinxähnlicher Kopf wandert als biomechanoides Wesen in teuflischer oder engelhafter Gestalt durch sein Werk. Zu sehen ist das auch in der Ausstellung in der Photobastei.
Manche seiner Bilder thematisieren auch mögliches Leben nach dem Tod. Obwohl Giger weder an Gott noch an ein Leben danach glaubt.

Bei meinem Besuch traf ich auch auf deinen Missverstandenen. H.R. Giger klagte: «Viele reduzieren meine Kunst nur auf Alien.» Doch Kennern ist längst auch sein anderes Werk bekannt. Anhänger fasziniert den visionären Gehalt seiner Kunst. Vor allem die Werke aus den 1970er Jahren. Endzeitbilder wie «Atomkinder» und «Unter der Erde». Morbide, expressive Spritzpistolenbilder in schwarz-weiss. Reproduktion von Tier und Mensch, die Herrschaft der Computer über den Menschen, Überbevölkerung, Selbstbestimmung über den eigenen Tod – in seinen Bildern stellte Giger meist tabuisierte Themen in drastischer Form früh dar. Viele dieser Themen sind heute, Stichworte Ukraine-Krieg und todbringendes Virus, wieder da.
Sein späterer Ruhm durch «Alien» hat dem Mann mit dem leisen Humor und den melancholischen Augen nicht nur gut getan. Als Gruselkünstler verunglimpft, wurde der sensible Giger viele Jahre von Museen geschnitten. Erst jetzt beginnt sich das allmählich zu ändern.

Kult sind nach wie vor seine «Biomechanoiden», laut Giger eine «harmonische Verschmelzung der Technik, Mechanik mit der Kreatur». Wesen, überschlank in die Höhe wachsend und an eigenartige Schläuche und Apparate angeschlossen.
Wer sein Haus in Zürich sowie das Schloss St. Germain besucht, erkennt: H. R. Gigers Einfluss auf die Popkultur ist beträchtlich. Das zeigt auch die aktuelle Ausstellung in der Photobastei in Zürich.
Die Photobastei Zürich zeigt vom 12. Januar bis zum 12. März unter dem Titel «Schattenreise» Meilensteine in HR Gigers Werdegang.